24 Februar 2021

Russland und das neue ethische Reich


Manifest von Bogomolow
Vor einigen Tagen erschien in einer nicht allzu beliebten prowestlichen Zeitung ein sog. Manifest eines nicht allzu populären Regisseurs Konstantin Bogomolow mit dem Titel "Entführung Europas 2.0".


Hinter dem Artikel wird aber schon wieder der bekannte Kreml-Ideologe Wladislaw Surkow vermutet. Also könnte man meinen, dass dieser Artikel auch die Ansichten der politischen Führung Russlands mehr oder weniger wiedergibt. Wie auch immer kommt hier die (gekürzte) Übersetzung des Manifestes.

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Der Mensch ist eine schöne aber gefährliche Kreatur. Wie die Atomenergie besitzt er sowohl kreative als auch destruktive Kraft.

Diese Energie zu kontrollieren, ihre zerstörerische Kraft zu zügeln und kreative Energie zu fördern, ist eine hohe Aufgabe des Aufbaus einer komplexen Zivilisation, die auf einem komplexen Menschen basiert. So entwickelte sich die westliche Welt bis in die Neuzeit: Die dunklen Seiten des Menschen wurden durch Religion, Philosophie, Kunst und Bildung zurückgehalten, notfalls aber auch – wie der Dampf aus einem überhitzten Kessel - dosiert abgelassen.

Im 20. Jahrhundert ist die "Atomenergie" des Menschen außer Kontrolle geraten. Der Nationalsozialismus wurde zum Tschernobyl der Menschheit. Der Schock und die Angst Europas vor dieser Explosion der menschlichen Primitivität waren zu groß. Darum beschloss der Westen шт вук Nachkriegszeit, sich gegen einen weiteren "nuklearen Unfall" abzusichern, indem der komplexe Mensch eliminiert werden musste.

Zu beseitigen war derjenige komplexe Mensch, den Europa viele Jahre des Christentums selbst formte. Derjenige Mensch, den Dostojewski beschrieb: Ein Engel und gleichzeitig ein Teufel, hoch und niedrig, liebend und hassend, glaubend und zweifelnd, tiefsinnig und fanatisch. Europa erschreckte sich vor dem Tier im Menschen, ohne zu berücksichtigen, dass auch das Tier ein natürlicher und organischer Teil des Menschen ist. Europa war nicht in der Lage, die Folgen des Nationalsozialismus intellektuell und geistlich zu überwinden, darum entschied es sich für eine einfache Lösung: den komplexen Menschen zu kastrieren, um die dunkle bestialische Seite seiner Natur für immer zu vergraben. So begann die Kastration und Lobotomie des modernen Westens. Daher kommt übrigens dieses falsche wohlwollende und alles verzeihende Lächeln, eingefroren auf dem Gesicht des heutigen westlichen Menschen. Dieses Lächeln drückt aber keine Kultur, sondern eine Degeneration aus.

Der heutige Westen manifestiert sich als Gesellschaft persönlicher Freiheiten. Doch in Wirklichkeit kämpft der Westen heute immer noch gegen einen komplexen Menschen und seine schwer kontrollierbare Energie.

Die moderne westliche Welt wird zum neuen ethischen Reich mit seiner eigenen Ideologie der "neuen Ethik". Der Nationalsozialismus ist Vergangenheit. Die Gegenwart heißt der ethische Qweer-Sozialismus. Aus Siemens, Bosch und Volkswagen wurden Google, Apple und Facebook. Die Nazis wurden durch eine Mischung aus Queer-Aktivisten, Fem-Fanatikern und Ökopsychopathen ersetzt, die genau so aggressiv sind und sich durstig nach einer vollständigen Neuformatierung der Welt sehnen.

Traditionelle totalitäre Regime unterdrückten die Gedankenfreiheit. Der neue nicht-traditionelle Totalitarismus ist einen Schritt weiter gegangen und will nun Emotionen kontrollieren. Die Einschränkung der emotionalen Freiheit eines Individuums ist ein revolutionäres Konzept des neuen ethischen Reiches.

Gefühle und Gedanken waren schon immer ein privater Bereich des Menschen. Äußerlich musste er sich beherrschen, aber sein Herz und Gehirn waren frei von Kontrolle. Dies regelte der stillschweigende Gesellschaftsvertrag der europäischen Zivilisation, der den Menschen als ein Gefäß von Emotionen und Ideen verstand, in dem Hass eine andere Seite der Liebe war - eine schwierige und gefährliche, aber notwendige und wichtige Seite der menschlichen Persönlichkeit.

In der nationalsozialistischen Gesellschaft wurde der Mensch wie ein Hund zu Hass abgerichtet. Im neuen ethischen Reich wird man dressiert, auf Liebe und Hass zu verzichten.

Man darf nicht mehr frei sagen "Ich mag nicht ...", "Mir gefällt es nicht ...", "Ich habe Angst ...". Man muss nun vorab eigene Emotionen mit der öffentlichen Meinung und den sozialen Werten in Beziehung setzen. Zum idealen Werkzeug für diese neue repressive Maschine wurden soziale Medien. Und zu den Aufpassern wurden sogenannte rechtschaffende Internet-Aktivisten. Sie tragen keine Uniformen, sie haben keine Keulen und Schocker, aber sie besitzen Gadgets, philiströse Machtgier, geheime Leidenschaft für Gewalt sowie einen Herdeninstinkt. Für ihre Aktivitäten haben sie keine rechtliche Grundlage, dafür aber eigneten sie sich das moralische Recht an. Und angesichts der jüngsten Ereignisse in den USA ist es offensichtlich, dass sie nicht nur ein sich selbst organisierendes Netzwerk darstellen. Sie werden vielmehr von der Staatsmacht unterstützt, vom neuen Ministerium für Wahrheit, das von den Eigentümern von Internetgiganten vertreten ist.

Das Internet hat diesen Aufpassern die Anonymität, Kontaktlosigkeit und infolgedessen Straflosigkeit verliehen. Virtuelle Menschenmenge, virtuelles Lynchen, virtuelles Mobbing, virtuelle Gewalt sowie reale mentale und soziale Isolation von Menschen, die sich nicht einreihen wollen. Diese Netzwerkinformanten und Handlanger spielen die ewige Angst des Menschen vor dem Alleingang gekonnt aus.

Im Nazi-Staat könnte ein Künstler aufgrund seiner "entarteten" Kunst den Job und das Leben verlieren. Im "schönen" westlichen Staat der Zukunft kann der Künstler seinen Job verlieren, weil er das falsche Wertesystem vertritt. Inzwischen betrifft das eigentlich nicht mehr nur Einflussfiguren wie Künstler. Die Situation entwickelt sich rasant, und heute kann ein bescheidener Lehrer oder ein friedlicher Student aus der Lehranstalt rausgeschmissen werden, wenn er eine "falsche" Meinung über die aktuelle Politik hat. Da die Gesellschaft und nicht der Staat diese Repressalien ergreift, werden sie als Aktionen der öffentlichen Solidarität bezeichnet, als gerechter Zorn "freier" und "fortschrittlicher" Menschen, die verlangen, dass Andersdenkende sich niederknien, um die Gnade zu erflehen. So wird dem Menschen die Selbstkastration als der einzige Weg nahegelegt, um im neuen orwellschen Staat zu überleben.

Das neue Reich erklärte den Krieg gegen alles, was unkontrollierbar ist, darunter auch gegen den Sex. Europa ging schnell von der sexuellen Revolution, die zur neuen europäischen Renaissance nach dem Nationalsozialismus wurde, zu einem umfassenden Kampf gegen die sexuelle Energie, dem wichtigsten, emotionalsten und unkontrollierbarsten Teil der menschlichen Existenz, über. Denn Sex ist Freiheit. Sex ist Gefahr. Sex ist das Tierische im Menschen.

Das Christentum räumte dem sexuellen Akt die Sakralität, Göttlichkeit und Schönheit ein. Erotik war ein Kunstobjekt. Sexuelles Verlangen war ein Zeichen der Inspiration. Sex war das heilige Liebesvergnügen. Geburt war ein Wunder. Das neue Reich betrachtet Sex als Produktion und die Genitalien als Werkzeug. Im Rahmen des neuen queeren Sozialismus sozialisiert es diese Produktionsinstrumente und verteilt sie neu, während die Produktion optimiert und der staatlichen sozialen Kontrolle unterstellt wird, wodurch das Geschlecht irrelevant wird.

Der grenzüberschreitende Charakter der Gesellschaft, die Globalisierung, ist Teil der Schaffung eines neuen totalitären Reiches. Früher hatte ein Dissident die Möglichkeit, seine Gesellschaft zu verlassen und eine neue zu finden. Staatsgrenzen bewahrten die Freiheit des Menschen: Die Vielfalt der Ethik- und Wertesysteme eröffnete dem Menschen die Möglichkeit, ein mehr oder weniger passendes oder zumindest nicht störendes Umfeld zum Leben und Schaffen zu finden.

Das neue ethische Reich sehnt sich nach Expansion und Vereinheitlichung der Gesellschaften. So entsteht ein neues globales Dorf, in dem sich ein andersdenkender Mensch vor den Hütern der ethischen Reinheit nicht mehr verstecken kann.   

Ethische Reinheit löste Rassenreinheit ab. Heute wird im Westen nicht die Form der Nase oder die nationale Identität unter die Lupe genommen, sondern die ethische Vergangenheit jedes erfolgreichen Individuums mit Mikroskop untersucht: ob es in Vergangenheit zumindest kleine, aber belästigende Verfehlung oder vielleicht nur Aussagen gab, die nicht dem neuen Wertesystem entsprechen. Wird eine Sünde gefunden, dann gibt es nur eine Möglichkeit, sich eventuell zu retten - der bereuende Kniefall.

Die Oktober-Revolution hat Russland fast hundert Jahre lang vom Westen isoliert. In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts befreite sich Russland vom Bolschewismus und eilte nach Europa. Dort suchte Russland nach Akzeptanz, versuchte zu lernen, träumte davon, den Status eines europäischen Landes und europäische Werte wieder zu gewinnen. Die Werte des schönen Europas der Vorkriegszeit, das in seiner ganzen Vielfalt keine Angst vor einem komplexen Menschen hatte. Das war Europa, das die menschliche Freiheit zu lieben und zu hassen respektierte. Europa, das verstand, dass die Natur den Menschen als komplexes, widersprüchliches und dramatisches Wesen erschuf, und sich nicht berechtigt sah, sich in diesen höheren Plan einzumischen. Europa, für das der Hauptwert im Menschen seine Individualität war. Nicht die Individualität des Sextreibens, sondern des Denkens und Schaffens. Das Schaffen äußerte sich in Gemälden, Musik, Gedichten, nicht aber in der Umgestaltung / Verunstaltung des eigenen Körpers oder in der Erfindung neuer Genderbezeichnungen.

Nach einem solchen Europa sehnte sich Russland in den 90er Jahren, und träumte, ein Teil davon zu werden. Das ist aber vorbei. Wozu denn Verbündete dort suchen, wo es sie nicht mehr gibt? Das moderne Russland ist sicherlich immer noch weit von dem einst angestrebten Europa entfernt. Aber es will offensichtlich auch nicht zum neuen europäischen Panoptikum gehören.

Unsere Westler wiederholen hartnäckig: Russland sei ein Land der Gefängniswärter und Sklaven. Mehr oder weniger mag das schon stimmen. Es ist aber auch wahr, dass lange Jahre mangelnder Freiheit, die in den Genen steckende Angst vor Umerziehungslagern, Denunziantentum sowie Demut und Gewalt als Mittel zum Überleben und zum Schutz der Bürger vor der Macht und der Macht vor den Bürgern - all das erfordert keine Revolutionen, aber Geduld und Therapie.

Der heute im Westen herrschende Geist der Gewalt und die Atmosphäre der Angst sind abscheulich. Und wo ist der Unterschied zwischen den damaligen russischen Bolschewiken und heutigen amerikanischen oder europäischen "Aktivisten"?

Das gab es bereits in unserer Geschichte während der Oktober-Revolution: Hässliche Feminitive und anderer Missbrauch der Sprache; Versuche, sich vom Geschlecht oder kultureller Identität zu befreien; Volksversammlungen, wo Andersdenkende als unmoralische Scheusale gebrandmarkt wurden; sogar Kinder, die ihre Eltern verraten. All das hatten wir schon.

Andersdenkende gibt es immer noch genug, und das sind keine durchgeknallten Orthodoxen. Ganz im Gegenteil. Das sind moderne, fröhliche und freie Menschen, gebildet und erfolgreich, offen fürs Neue. Das sind die Menschen, die das Leben in seiner Vielfalt lieben. Das sind Russen, Europäer, Amerikaner, die heimlich davon träumen, dass heutige seltsame und dunkle Zeiten endlich vorbei sind. Aber sie haben Angst, lautstark zu werden. In Russland droht ihnen Netzwerkmobbing. Im Westen fürchten sie vor dem moralischen Terror, Entlassungen und Armut.

Sie alle brauchen Unterstützung. Ihre Gefühle und Gedanken müssen endlich auf dem Papier formalisiert und strukturell organisiert werden. Das heißt, es ist an der Zeit, eine neue rechte Ideologie klar und deutlich zu formulieren, eine Ideologie außerhalb der radikalen Orthodoxie, aber von den Werten einer komplexen Welt ausgehend, die auf komplexen Menschen basiert.

Russische Westler behaupten: Russland sei das Schlusslicht der progressiven Menschheit. Das stimmt nicht. Eigentlich dank eines Zufalls wurde es zum Schlusslicht eines verrückten Zuges, der die Hölle ansteuert, wo die Fahrgäste von multikulturellen und geschlechtsneutralen Teufeln begrüßt werden.

Wir müssen nun unseren letzten Wagon zügig abkoppeln, sich bekreuzigen und mit dem Aufbau der eigenen Welt beginnen. Wir müssen anfangen, unser altes gutes Europa wieder aufzubauen. Europa, von welchem wir träumten. Europa, das die Europäer bereits verloren haben. Europa der gesunden komplexen Menschen.

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