23 Januar 2018

Überlebenskunst: Mit der Waffe in der Hand

Mit der Waffe in der Hand
Die ersten Postings dieses Blogs wurden dem Thema Überlebenskunst gewidmet.

Aber eigentlich ging es dabei um die Methoden, wie man sich selbst und seine Familie retten kann. Strenggenommen waren das also eher Rettungsmethoden.

Das Original-Manuskript des russischen SE-Offiziers a.D. hat aber zugegebenermaßen ein weiteres, abschließendes Kapitel, das vor einem Jahr nicht übersetzt wurde.

Im Laufe der vergangenen Monate habe ich aber mehrere Kommentare und Zuschriften von deutschen Lesern bekommen, die mich langsam umstimmten. Deswegen kommt hier doch die Übersetzung des letzten Kapitels.
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Sie wollen also doch kämpfen. Mit der Waffe in der Hand. Diesen Wunsch bekommt man oft, spätestens nachdem man sich lange verstecken und beugen mußte. Nachvollziehbar. 

Aber als Erstes sollte man sich das Wichtigste einprägen: der Krieg ist ein Mannschaftsspiel. Also müssen Sie sich gut überlegen, in welchen Reihen Sie kämpfen wollen. Sie müssen sich unbedingt für eine Seite entscheiden. Nochmals: allein zu kämpfen ist sinnlos, denn ein Krieg besteht nicht nur aus Gefechten, sondern auch aus Munitionstransporten, Planung, Verpflegung usw. Dabei muß man bereit sein, ganz klein anzufangen, und selbst die schmutzigste Arbeit auf Befehl zu machen. Schützengräben auszuheben ist keine unwürdige und keine allzu schmutzige Aufgabe, davon muß man ausgehen.

Als Nächstes sollten Sie die Hoffnung aufgeben, dass die Zugehörigkeit zu einer Einheit Ihnen mehr Klarheit im Leben verschafft. Das wird nicht passieren.

Innerhalb jeder Truppe geht es eigentlich immer recht chaotisch zu. Die meisten Offiziere sind dickköpfig, und zwischen Ihren Regimentskameraden entdecken Sie sehr bald eine Menge psychisch instabile und kampfbesessene Menschen. Das ist normal, jedenfalls unter diesen Umständen.

Nun haben Sie sich umgesehen und füllen sich gescheiter als die anderen? Dann haben Sie ein Problem. Am besten schalten Sie Ihr Gehirn so schnell es geht aus, solange es noch nicht zu spät ist. Danach tun Sie genau das, was Ihnen befohlen wird. Selbst wenn der Befehl offensichtlich dumm ist. Keine Improvisationen, alles nur nach Vorschrift und nach Kommando. Ein heller Kopf des Rekruten generiert ausschließlich Strapazen.

Wurden Sie von Offizieren oder Kameraden angeschrien? Werden Sie bloß nicht bissig! Sie haben Glück gehabt, denn jemand kümmert sich ja schließlich um Sie. Wenn man im Gefecht angeschrien wird, ist das immer noch besser als angeschossen zu werden. Und so was kann durchaus passieren. Kampfhandlungen können intensiv sein, und Eigenbeschlüsse sind dabei keine Seltenheit.

Jetzt zur Waffe: immer sichern! Erst entsichern, wenn Sie zu schießen beginnen, oder wenn Sie im Spähtrupp sind. Aber bis Sie zum Spähtrupp gehören, vergeht wohl sehr viel Zeit. Falls Sie entdecken, daß ein schlampiger Kamerad mit einer entsicherten Waffe neben Ihnen marschiert, sagen Sie es ihm. Aber nur sagen, und zwar ganz ruhig, nicht seine Waffe anfassen! Wenn Sie danach zum Teufel geschickt werden, dann nehmen Sie das halt hin. Alternativ können Sie den Vorfall dem Unteroffizier melden. Das möchte aber gut überlegt sein. Einerseits sterben viele Kämpfer wegen der ungesicherten Waffe eines nachlässigen Kameraden, andererseits kann der vom Unteroffizier bestrafte Mitkämpfer allzu nachtragend sein, was für Sie tragische Folgen haben kann. Ich würde lieber selbst darauf bestehen, daß der Kamerad seine Waffe sichert.

Nie auf Andere zielen! Weder zum Spaß, noch mit einer gesicherten Waffe. Nicht einmal mit dem abgenommenen Patronenmagazin. Dieser „Spaß“ wird sehr hart bestraft.

Der Sicherungshebel an der Kalaschnikow hat drei Positionen: gesichert, automatisches Feuer, Einzelfeuer. Wird die MP in der Hektik entsichert, dann wird der Sicherungshebel mit großer Wahrscheinlichkeit bis zum Anschlag nach unten also in die Einzelfeuerposition, geschoben. Das wurde absichtlich so gemacht, damit der in Panik verfallene Soldat sein Patronenmagazin nicht sekundenschnell entleert und schutzlos bleibt. Nur damit Sie das wissen.

Übrigens, der MP-Sicherungshebel rasselt entsetzlich. Wenn also die MP geräuschlos entsichert werden soll, dann ziehen Sie den Hebel ein bißchen zur Seite, bevor Sie ihn bewegen.

Studieren Sie die Schußtafel für Ihre Waffe. Die Kugel fliegt nicht geradeaus, sondern ballistisch, also mal höher mal niedriger. Deswegen muß man Schußtafeldaten gut kennen, aber auch die Zielentfernung sollten Sie möglichst genau einschätzen können. Der Wind beeinflußt ebenfalls die Flugbahn der Kugel.

Wenn Sie die Möglichkeit bekommen, eine Waffe auszuwählen, dann nehmen Sie das, was auch Ihre Kameraden haben. Munition ist schwer, geht aber im Gefecht (besonders in der Stadt) schnell aus. Das gleiche Kaliber wie bei den Mitkämpfern kann dann sehr vorteilhaft sein. Ist ein Kamerad tot, dann seien Sie nicht zu zimperlich, und nehmen Sie seine Munition mit. Darüber sollten Sie aber vorab Ihren Unteroffizier informieren.

Haben Sie eine individuelle Gefechtsaufgabe bekommen, dann nehmen Sie die MP mit maximal 360 Patronen in 12 Magazinen mit. Die restliche Munition gehört in den Rucksack, und zwar in Kartons. So reduzieren Sie das Gesamtgewicht. Die an der Brust und auf dem Rücken plazierten Patronenmagazine stellen übrigens eine gute Panzerung dar.

Im Krieg stirbt man am häufigsten an Splitterverwundungen. Vor kleineren Splittern schützt Sie aber eine Wattejacke durchaus. Zum Halsschutz immer den Kragen hochstellen.

Eine Panzerweste ist natürlich ideal, auch wenn sie ganz alt und strapaziert ist. Aber glauben Sie bloß nicht, dass die von der Panzerweste abgefangene Kugel harmlos ist. Auch sie kann einen verheerenden Schaden anrichten. Der Rippenbruch ist auf jeden Fall fast vorprogrammiert. Vielleicht auch die Zerreißung innerer Organe. Also kein Loch im Körper ist noch lange kein Grund für den Optimismus. Manchmal wäre ein Loch sogar besser.

Granatwerfer nie anfassen! Man muß damit viel Erfahrung haben. Überlassen Sie das lieber den geübten Kameraden.

Bei den Menschen, die bereits mehrere Tage auf der frischen Luft verbrachten (z.B. in der Schanze oder im Schützengraben), spitzt sich der Geruchssinn merklich zu. Wenn Sie also rauchen, können Sie vom Feind von bis zu 100 Meter Entfernung buchstäblich ausgeschnüffelt werden. Also lieber mit dem Rauchen aufhören.

Immer wenn Sie glauben etwas Verdächtiges gehört zu haben, bleiben Sie stehen und halten Sie Ihre Gruppe an und verlangen Sie absolute Stille. Lauschen Sie dann ohne Eile. So müssen Sie auf ausnahmslos jedes verdächtige Geräusch reagieren. Dabei nie aufrecht stehen, wenn Sie stehenbleiben. In diesem Fall immer aufs Knie sinken oder sich auf den Boden hinlegen. Diese Prozedur ist mühsam, rettet aber das Leben. Falls jemand nicht mitmacht, einfach dazu zwingen.

Finger weg vom Abzug! Selbst wenn die Waffe gesichert ist.

Auf dem Marsch kreuzen Sie die Hände auf der Brust und legen Sie die MP oben drauf. So geht es leichter.

Auf dem Posten nicht schlafen. Sonst werden Sie nicht nur von Feinden gern erschossen. Während des Krieges gab es dafür in der Roten Armee offiziell Todesstrafe. Heute gibt es sie auch, nur inoffiziell.

Pinkeln kann (und sollte) man auf Knien. Scheißen gehen Sie immer nur zu zweit.

Niesen nur lautlos.

Je langsamer man läuft, desto schneller stirbt man.

Die Effizienz der Granate ist überschätzt. Es gibt durchaus Fälle, wo eine Granate in einem engen Raum explodiert, die Anwesenden kommen aber nur mit leichten Prellungen davon.

Den Granatenvorstecker mit Zähnen zu ziehen gibt es im Kino. Das geht nur mit den Fingern.

Die Teilnahme an einer Säuberungsoperation bedeutet, daß Ihr Tod jede Sekunde ganz in der Nähe ist. Darum immer zu zweit agieren: zuerst Ihre Granate, dann Sie. Die Granate nie in den Raum hineinwerfen, immer nur hineinrollen. Idealerweise sogar „zu dritt“ handeln: die erste Granate eingerollt, Explosion, die zweite Granate eingerollt - aber unentsichert. Denn diejenigen, die noch am Leben sind, müssen ja Reaktion zeigen.

Jede abgeschlossene Tür ist unantastbar, denn sie kann vermint werden. Schubläden nicht anfassen, Elektrogeräte nicht einschalten. Grundsätzlich nichts berühren. Jedes Ding kann vermint sein. Das betrifft auch die Tür des Kühlschranks und den Klodeckel.

Hinter einem Teppich oder Klamotten an der Wand kann sich eine Bresche befinden. Wenn Sie also meinen, daß Sie in einem abgeschlossenen Raum allein sind, kann das durchaus eine falsche Annahme sein. Immer daran denken.

Aus einem Kleiderschrank können Sie eine Katze miauen hören. Das bedeutet lediglich, dass die Katze bereits zum Tode verurteilt wurde. Der Schrank ist vermint und darf nicht aufgemacht werden. Entminen gibt es bei der Stadtsäuberung nicht. Alle verdächtigen Stellen werden schlicht gesprengt. Solche Momente sind immer schwierig, aber so ist es halt...

Noch schlimmer: Sie müssen bereit sein, Zivilisten abzuknallen, wenn diese Sie gesehen haben. Selbst wenn das Frauen oder Kinder sind. Wollen Sie diese „Alternative“ ausschließen, bewegen Sie sich möglichst unbemerkt.

Bei Verwundungen gibt es viel Blut. Das Blut kommt aber (hauptsächlich) entweder aus einer Vene oder aus einer Arterie. Das macht normalerweise einen großen Unterschied bei der Behandlung aus. Nicht aber während des Gefechts.

Mit der Venenblutung wird der Kamerad möglicherweise einige Stunden aushalten können, mit der arteriellen Blutung dagegen stirbt er in wenigen Minuten. Die Ärzte werden mich verfluchen, aber ich sage es trotzdem: die Abschnürbinde einfach oberhalb der Wunde anlegen und den verwundeten Kämpfer in Ruhe lassen, solange Sie noch kämpfen. So hat der Kamerad wahrscheinlich ca. eine Stunde, um sich zurechtzufinden, oder abzuwarten, bis Sie ihm weiter helfen können.

Die Abschnürbinde muss immer da sein. Nicht im Rucksack, immer bei der Hand, am besten direkt am Kolben. Besser noch: zwei Abschnürbinden!

Nun was die Medizin betrifft.
Immer diejenige Arznei vorrätig bei sich haben, die Sie auch sonst brauchen. Aber dazu noch unbedingt: drei Abschnürbinden, eine Menge Stoffbinden, Schere, Nahtmaterial, schmerzlindernde Mittel, Desinfektionsmittel.

Ein Muß ist ein scharfes Antibiotikum, genauso wie scharfe entzündungshemmende Mittel. Das bekommen Sie aber nicht in der Apotheke. Also frühzeitig daran denken. Arzneimittel als Lösungen wirken merklich besser, also am besten Ampullen und Spritzen im Verbandskasten haben.
Aktivkohle ist ebenfalls sehr zu empfehlen. Der Krieg ist nicht jedermanns Sache, und diese Erkenntnis kommt manchmal als Erstes eben über den Magen-Darm-Kanal...

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Andere Tips des russischen Offiziers finden Sie hier
Überlebenskunst: Mit der Waffe in der Hand Rating: 4.5 Diposkan Oleh: Admin

2 Kommentare:

  1. Sehr gute Ratschläge. Solche klar denkenden Leute sollten die Politik bestimmen, nicht diese lächerlichen Clowns, die es zur Zeit machen.

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  2. Danke für die Übersetzungen dieser Artikelserie, denn sie geben so einige Aspekte mE realistisch wieder.

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